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Re:Re:Pedelec-Antrieb bei Utopia      Olaf Sieber  09.09.12   01:18:13
Tag Frau Wiebe,

ich möchte unbedingt vor dem weiteren Schreiben darauf hinweisen, dass mich Utopia-Räder im allgemeinen und das London im Speziellen sehr überzeugen. Und dass ich froh bin, dass es Utopia so überhaupt gibt.
Mein Bruder hat ein London incl. eSupport mit der nächstgrößeren Rahmengröße im Vergleich zu meinem Rad, gleiche Ausstattung bis hin zu Rohloff. Man kann daher die Räder gut vergleichen, v.a. wie die Änderungen durch den eSupport das alltägliche Radfahren beeinflussen. Es ist ja nicht nur der Motor dazugekommen, sondern auch ein völlig anderer Gepäckträger, welcher nur sehr bedingt für Reiseräder, welche Utopia zu Recht bei sich bewirbt, geeignet ist. Ich versuche, strukturiert das gesamte Konzept durchzugehen, wobei natürlich keine Vollständigkeit zu erwarten ist. Ich hoffe aber, dass in diesem Forum eine Diskussion zustande kommt, welche den Antrieb verbessert oder einen zweiten Entwicklungsweg neben diesem System anschiebt.

Allgemeines zum Konzept:
Unübertroffen, man kann im Netz suchen, wo man will. Alle Nicht-Vorderradnaben-Systeme bringen Probleme: Ein Nachlauf im Tretlagerantrieb ist tendenziell schwierig beim zügigen Schalten von Nabenschaltungen, Hinterrad-Naben-Systeme vertragen vom Platz her gleich gar keine Nabenschaltung. Auch das Treppensteigen geht mit ziehendem Vorderrad besser. Die Anpassbarkeit an den Fahrer bei Utopia braucht man da gar nicht mehr zu erwähnen. Aber auch im Vergleich zu anderen Vorderradnabenantrieben gibt es bei den anderen (fast) nur Schatten: Das Wichtigste ist die Antischlupffuntion gegen Wegrutschen. Gibt es so praktisch nicht noch mal. Aber selbst der Nabendynamoeffekt des Motors bei leeren Akkus ist weit über dem Standard, viele Systeme haben entweder einen Seitenläufer (!!!) oder Akkulicht, solange der Akku noch was sagt, oder auch mal gar keine Lösung, gerade bei Nachrüstsätzen. Nach den Aussagen im Radratgeber ist der Antrieb sowohl für leichte wie für schwere Menschen gedacht, für Berg und flaches Land, beim Gepäck für großes und kleines, und bei leerem Akku für Weiterfahren mit einem normalen Rad(fahrgefühl).

Genauere Betrachtung der konzeptionellen Vorteile:
Antischlupfregelung: In sehr extremen Situationen kann das Rad wegdrehen, wobei es schnell den Motor abschaltet, aber dann doch weiterrutscht, weil die Reibung für ein rollendes Rad nicht mehr ausreicht. D.h. man stürzt, weil das Rad auch ohne weiteren Antrieb weggerutscht, aber vom Motor kam der Anfangsimpuls. So erlebt man es. In Wirklichkeit wäre das gleiche Rad ohne eSupport, gleiche Beladung, gleiche Fahrweise an der selben Stelle auf jeden Fall weggerutscht: Der Motor bewirkt durch sein Eigengewicht so viel mehr Haftung, dass man seltener wegrutscht, selbst wenn die Antischlupfregelung etwas zu spät den Motor stoppt. Ein Vorderradantrieb ohne eine solche Motorbremse wiederum ist schwer vorstellbar: Man kann einen Anstieg im Wald hochfahren und merkt, wie der Motor sich zurücknimmt, weil loser Schotter unter die Räder kommt!

Vorderradrantrieb: Man kann Schalten wie gewohnt. Gerade bei Fahren mit der ersten Unterstützung kann man schnell vergessen, dass es ein Pedelec ist. Es fährt sich wie aus einer Mischung aus Rückenwind und leicht bergab. Nichts ist beim Schalten in Bezug auf den Motor zu beachten. Und zur Traktion: Warum gibt es beim Auto denn den Vorderradantrieb?

Nabendynamofuntion: Sehr gut gedacht, aber nicht gut gemacht: Das Licht gibt es erst ab 10 km/h aufwärts. Beim Shimano-Nabendynamo gibt es ab 4 km/h ausreichendes Licht, selbst beim Schieben. Wer also durch den Wald fährt und mit dem schweren Pedelec und leeren Akkus an einen Anstieg gerät, fährt dann plötzlich im Dunkeln, wenn er zu langsam wird. Unter 10 km/h ist nichts mehr da, auch keine Standlichtfunktion. Das ist das gleiche Elend wie früher mit den Seitenläufern ...

Lenker-Steuergerät: Wir haben es links angeornet, damit man rechts normal schalten kann. Dadurch kann man den Antrieb öfters mal gut ausschalten, was dem Akku augenscheinlich gefällt. Allerdings kommt man für die Schiebefunktion dann schlecht an den Taster. Hier wäre eine vertikale Anordnung besser - oder ein Daumen-Wachstumshormon, um noch den Fahrradgriff mit der restliche Hand festhalten zu können.

Treppensteigen mit der Schiebefunktion: Aber nicht mit BigApple-Glattreifen: Die rutschen einfach an den Kanten der Stufen, Motor dreht durch, blockiert sofort, usw. Ich denke, das kann nur eine schwere, kräftige Person, welche sich auf den Lenker lehnt und mitschiebt. Meine 50-Kilo-Frau hat da keine Chance.

Radgewicht: Ist zu hoch! Da das Treppensteigen nicht für jeden geht, müsste es eine leichtere Variante zur Wahl geben. Auch die Anordnung - Motor vorn, Akkus hinten, "ausgeglichenes Gewicht" - ist überdenkenswert. Wenn ein Radnutzer mit viel Gepäck sein Rad bisher hinten gerade noch anheben kann, ist es damit durch die Akkuanordnnung schnell vorbei.

Ladegerät: Wenn man wegen Gewichtseinsparung für Touren nur einen Akku mitnehmen will und plant, in der Mittagspause das 1-h-Ladegerät zu nutzen, wird man eventuell enttäuscht sein. Es ist recht schwer bei der Fahrt und v.a. sehr laut! Der Lüfter ist derart störend, dass man das Laden in einer Gaststätte - nebenbei wie schon länger beim Handy im Urlaub - nicht planen sollte. Und beim Laden auf Arbeit fühlt man sich 10 Jahre zurückversetzt, wo die Lüfter in den PCs auch noch so einen Krach gemacht haben.

Akkus: Sind wirklich gut. Allerdings merken sie sich wohl, wenn man sie schnell leert (Stufe 2 oder 3), und sie lassen sich offensichtlich dann nur eingeschränkter kapazitiv nutzen. Also viel Akkuleistung nur bei gemäßigter Abgabe, scheint jedenfalls so. Ein Mangan bringt bei uns 45 km, was wirklich o.k. ist. Perspektivisch werden die Akkus eh besser.

Anbringung der Akkus / Gepäckträger: Wie gesagt, Akkus zu weit hinten am Rad. Aber noch viel schlimmer: Viel zu hoch am Rad. Der ganze Gepäckträger ist leider falsch gelungen, weil, denke ich, falsch konzipiert. Utopia will Reiseräder bauen. Dort gilt: Gewicht so tief wie möglich! Früher gab es Vorderradgepäckträger auf gleicher Ladehöhe wie hinten, jetzt nutzen alle Lowrider. Warum wohl? Im Vergleich zum normalen Gepäckträger mit tieferliegender Aufhängestrebe für (Ortlieb-) Taschen hängen beim eSupport-Gepäckträger die Taschen etwa 13 cm höher, die waagerechte Fläche für z.B Körbe ist etwa 6 cm höher. Welch eine Gewichtsverlagerung nach oben! Und das nur dafür, dass unter dem Gepäckträger die Elektronik sitzt. Viel sinnvoller wäre: Bisherige Gepäckträgerhöhe (Fläche und Taschenstrebe) unbedingt belassen, Akkus gut 20 cm tiefer als jetzt, aber mehr als Breitformat, an den Seiten über den Akkus die Elektronik. Wenn man derzeit oben einen Korb mit dem Snappit-Adapter aufsetzt, kann man die Taschen kaum noch richtig packen, weil der Korb zu eng anliegt. Wenn man den Korb richtig auf dem Gepäckträger festmacht, kann man die Taschen nicht mehr abnehmen. Außerdem ist die Biegung der oberen Strebe vorne etwas zu früh, so dass dort kein Taschenhaken eingehängt werden kann! Damit ist die Tasche ca. 8 cm weiter hinten hängend als beim Vergleichsrad mit normalem Gepäckträger.

Antrieb für leichte und schwere Personen, für flach und bergig: Nein, nur für bestimmte Kombination: Schwer und flach oder leicht und bergig! Das Problem liegt in der Motorcharakteristik von Nabenmotoren in Fahrrädern: Bei geringen Umdrehungen dreht der Motor in einem ungünstigen Bereich. Er hat einen sehr schlechten Wirkungsgrad, verbraucht viel elektrische Energie als Eingangsleistung und gibt relativ wenig als mechanische Ausgangsleitung ab. So etwas kann man an Kennfeldlinien ablesen, wonach ich Sie, Frau Wiebe , gefragt hatte. Da Sie diese nicht mitteilen wollen, bleibt nichts anderes übrig, als die öffentlich zugänglichen der 30-km/h-Variante zu nehmen (crystalyte.com, G Series). Dort gibt es z.B. bei 54 Umdrehungen in der Minute und damit 7 km/h einen Wirkungsgrad von 20 %. Der Motor nimmt 23 Ampere und hat eine elektrische Eingangsleistung von 827 Watt, die mechanische Ausgangsleistung beträgt aber nur 168 Watt. Wenn der Strom deutlich unter 23 Ampere liegt, wovon auszugehen ist, wird noch deutlich weniger Leistung abgegeben. D.h. entweder benötigt der Motor sehr viel Strom oder er ist bei niedrigen Geschwindigkeiten sehr schwach oder eine Mischung aus beidem. Bei 85 Umdrehungen oder 12 km/h liegt der Wirkungsgrad bei 30 %. Rund läuft der Motor ab etwa 180 Umdrehungen, was beim 30-km/h-Motor 24 km/h sind und beim 25-km/h-Motor etwa 20 km/h sein werden. Genau dies merkt man beim Fahren, dort wird er "frei". Im realen Radleben mit einem Systemgewicht (Rad+Fahrer+Zuladung) über 140 Kilo sollte man daher Berge besser mit dritter Unterstützungsstufe und wenigstens 18 km/h hochfahren, was bedeutet, sehr angestrengt mitzutreten, um das Tempo zu halten. Wird man deutlich langsamer, ist es besser, den Motor auszumachen und die Akkus zu schonen. Ich schätze, bis zu einem Systemgewicht von 90 Kilo zieht der derzeitige Motor jeden normalen Berg hoch, ab 150 Kilo sollte man im Flachland bleiben.

Fazit für mich:
Ich kann aus Sicherheitsgründen, da ich oft mit etwa 30 kg Zuladung auf dem Heckgepäckträger fahre, den derzeitigen eSupport nicht nehmen. Ich habe keine Lust auf einen Tretlagermotor, muss mich aber damit wohl beschäftigen. Für mich wäre ein wirklicher Vorderrad-Bergmotor mit sog. Bergwicklungen sehr interessant. Und vielleicht gibt es auch eine Lösung, wo Akkus, Steuerung und Motor komplett im vorderen Bereich des Rades wären, mit kurzen Kabeln und viel Gewicht auf dem vorderen Bereich des Rades. Dafür bräuchte man für die verschiedenen Modelle sicher verschiedene Aufhängeadapter für die Akkus.


Beste Grüße Olaf Sieber



 

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